… Die
neue Bienenart war ein reines Kunstprodukt. Es wäre Unsinn gewesen,
sie sofort auf die freie Natur loszulassen. Wer sagte uns denn, dass
sie wirklich ihr manipuliertes Genom kopierte und der folgenden
Generation weitergab? Wer sagte uns, ob wir nicht nebenbei ihr
Orientierungssystem gestört hatten, wie das einige Forscher von den
verschwundenen Bienen behaupteten? Wir hatten Geduld. Die große
Forschung würde an jenen Geschöpfe zu bewältigen sein, die wieder
„natürlich“ entstehen würden, also an jenen Bienen, für deren
„Geburt“ „unsere“ Königin zuständig war und gefüttert
wurde. Zumindest dieser Instinkt war – genau wie der arbeitsteilige
Aufbau des Staates - erhalten geblieben. Eigentlich war der Erfolg am
allerwenigsten meine Leistung. Doch … Vielleicht verstand ich nur
zu wenig von Frauen, und war deshalb verunsichert, dass mich Lissy zu
vergöttern begann. Aber mir tat es gut.
Dann
dieses herrliche Gefühl, für neues Leben verantwortlich zu sein.
Auch neue Bienen sind ja neues Leben. Als jenes Ereignis herangerückt
war, fühlte ich mich wie der Oberarzt einer Frauenklinik. Ich gebe
zu, insgeheim freute ich mich sogar ein wenig, dass Gregs
weiterlaufende Reihen bis zu diesem Tag keine nutzbare neue Kombi
ergeben hatten. Die Angst, er könnte mich doch noch bei Lissy
ausstechen, hatte ich nicht verloren. Aber die Strafe dafür traf
mich trotzdem ganz unvermittelt:
Wir
hatten alles für das Experiment „erster Ausflug“ vorbereitet.
Die FN 3514 b-Bienen (also die der zweiten Generation) wurden in eine
vollkommene Kunstnatur entlassen. Ein Treibhaus mit einem Gemisch aus
Kunst- und Sonnenlicht und mit blühenden Pflanzen aller Art. Wir
hatten so viele Kameras installiert, dass kein einziges Blatt
unbeobachtet hätte wackeln können. Es gab Blüten nebeneinander,
die die Natur nie nebeneinander zugelassen hätte, und in
verschiedenen Farben. Wir waren sicher, nichts vergessen zu haben.
Und dann ...
Als
wir nachher wie die Verrückten die vielen Filme durchsahen,
verfestigte sich von Mal zu Mal unser anfänglicher Eindruck: Unsere
tollen Bienen waren losgeflogen, hatten versucht sich zu orientieren
– ob ihnen das gelungen war, konnten wir nicht sagen – und etwas
gesucht. Jeder Film bestätigte, dass sie nicht fanden, was sie
gesucht hatten. Jeder Film zeigte aber auch, dass sie ihre Suche
nicht auf Blüten konzentrierten, egal welche. Unsere Wesen sahen
eindeutig aus wie Bienen, aber Blütenstempel interessierten sie
nicht, schillernde Farben lockten sie nicht. Manchmal flogen sie
merkwürdige Kreise. Immer dann hatte ich das Gefühl, mein
Adrenalinspiegel stiege an. Auch Lissy, Paul und Esther fühlten sich
beschwingt. Wir schoben das auf die Erwartung eines Erfolgs – wie
immer der aussehen sollte.
Inzwischen
beobachteten wir noch etwas Anderes: Unsere b-Bienen nahmen gern
Honig zu sich. Doch dann ... Bei der Verdauung des Honigs entstanden
kleine Portionen klassischen Alkohols. Die Tiere wurden besoffen und
führten sich auch so auf. „Macht nur so weiter! Unser Volk wird
bestimmt bald delirierend aussterben“, unkte Greg. Wir lachten
noch. Wir ahnten ja nicht, dass es vielleicht das sogar das Beste
gewesen wäre, hätte sich Gregs Vision bewahrheitet.
Greg
stattete uns häufig Besuche ab. Wäre er doch nur still geblieben
dabei! Wäre er doch bei seinen Programmierungen geblieben! War er
aber nicht. Er schäumte nur so über von unausgegorenen Ideen. Mit
dem Blick des unbeteiligten Außenstehenden beobachtete er zum
Beispiel erst eine Weile die aktuelle Situation unserer Schöpfungen,
um dann einen Witz abzulassen: „Habt ihr gesehen, dass die ihren
Alk einfach auf die Blätter pinkeln? Ist doch Verschwendung.
Vielleicht ergibt das ganz neue Nutzungsmöglichkeiten? Ich hol mal
ein paar Versuchsmäuse. Sollen die prüfen, ob das ein gutes Gesöff
ist.“ Und schon zog er los. Wir hörten ihn noch ulken: „MET
direkt von den Bienen ... Welch Fortschritt!“
Unsere
Situation schien ihn köstlich zu amüsieren.
Ich
gebe zu, dass mir das Ruder aus der Hand glitt. Ich war selbst viel
zu neugierig, um etwas Sachliches zu tun. So unternahm ich nichts,
als Greg mit einem Behälter voller Versuchsmäuse zurück war. So
schnell, wie er dann den Deckel der Kiste und die Tür des
Treibhauses geöffnet, den Kasten hineingestellt und die Tür wieder
geschlossen hatte, konnte ich kaum reagieren und ihm wenigstens
zurufen, er solle aufpassen. Nicht dass uns einige Bienen entwichen.
Da war es schon zu spät ...
Nein,
wahrscheinlich waren wirklich alle Bienen im Versuchshaus geblieben.
Aber das war dann auch das Letzte, woran wir während der nächsten
Minuten dachten.
Die
Mäuse begannen neugierig ihre neue Umwelt zu untersuchen. Einige
schienen als Erstes den ungewohnten Geruch aufzunehmen. Mäuse sind
echt putzig, wenn sie ihre Nasen in die Höhe recken. Es fiel zwar
absolut nicht in unseren Aufgabenbereich, aber wir hätten aus reinem
Vergnügen die Mäusesauforgie beobachtet.
Doch
dazu kam es nicht. Die Bienen waren nämlich wie verwandelt. Als
hätten sie endlich gefunden, was sie so lange vergeblich gesucht
hatten, orientierten sie sich um. Als Formation von
Sturzkampffliegern oder so, als ob am Mäusebehälter ein Vakuum
entstanden wäre, stürzten sich alle auf die Nager. Wir starrten wie
benommen auf die Szenerie. Innerhalb von drei Minuten lagen dort, wo
zuvor die kleinen Säuger gelaufen waren, nur noch ein paar
Knöchelchen. Eine Weile standen wir reglos da.
Wahrscheinlich
hallte auch in den Ohren der anderen das Entsetzensfiepen der Mäuse
nach Diese hilflose Angst, der Schmerz und dann das Verstummen.
Als
wir langsam wieder zu uns kamen, fiel uns als Erstes auf, dass sich
unsere b-Bienen nun wie „normale“ Bienen aufführten –
zumindest ihrer Königin gegenüber. Bisher hatten wir nicht eine
Biene beim Nektar sammeln „erwischt“. Das änderte sich nun.
Schon wenige Minuten nach dem Überfall auf die Mäuse waren fast
alle Bienen dabei, sich an Blüten zu schaffen zu machen und zu ihrem
Korb zu fliegen. Hätten nicht die Knochen am Boden gelegen, wir
hätten eine perfekte Idylle vor uns gesehen ...