Sie hassten die
Nachtwachen. Und zugleich liebten sie sie. Keine Dienstzeit bot eine
so große Aussicht auf ungestörtes Abhängen. Und durch die Art des
Objektes war normalerweise Erholung angesagt. Natur pur. Keine
Kaserne in unmittelbarer Nähe, nur eine Zufahrt. Man mochte es
Verschwendung nennen, aber es gab die Hauptstraße und eben diese
Versorgungsstraße. Hier näherten sich nur Militärfahrzeuge. Wenn
denn was los war. Gelegentlich war vorn was los. Irgendwelche
schlafwütigen Pazifisten gingen ihnen auf die Nerven. So ein
Bombodrom senke den touristischen Wert der Gegend. Gerade die
zurückgezogene Stille sei ihre Besonderheit. Wanderwege, Heide,
Bäume, vor allem Kiefern. Dabei … sollten die Bombenabwürfe denn
in Kreuzberg oder Barmbek geübt werden? Hier war die toteste Hose
und hier lag schon so viel Kampfschrott, dass es auf die paar neuen
Tests auch nicht mehr ankam. „Sperrgebiet!“ Die Schilder waren ja
nicht zu übersehen. Was das für ein Aufwand wäre, allein die
Munitionsreste zu bergen! Also machte man weiter.
Übermäßig beliebt war
der Platz bei den Soldaten nicht. Aber auch das war nicht sonderlich
schlimm. Hier hatte kaum einer seinen festen Standort. Gerade einmal
genügend Leute, um eben abzusichern, dass keine Lebensmüden sich im
Revier herumtrieben. Nur bei Übungen war was los.
Als die beiden Gefreiten
Käsich und Maurer dem Ende der Nachtwache entgegensahen, war keine
Übung. Normalerweise hatte der Dienst hier einen eigenen Vorzug: So
viele Vorschriften es auch geben mochte, hier wurde kaum eine ernst
genommen. Warum auch? Wer hätte sie kontrollieren sollen? Dafür
eignete sich die Zeit zwischen tiefer Dunkelheit und Morgendämmerung
zu dummen Späßen fast so gut wie zu echten Männergesprächen.
… „Du spinnst!“,
knurrte gerade der eine.
„Das glaub ich einfach
nicht. Und wenn sie zehnmal eine solche Wette verloren hätten.
Glaubst du im Ernst, du kannst mir das weiß machen? Dass Kati vor
denen gestrippt hat? Nicht Kati. Und hier schon gar nicht.“
„Ronny“, erwiderte
der andere erregt. „wenn ich es dir doch sage! Max hat das alles
ganz genau beschrieben: Fünf Schnecken aus Bünnewitz, eben auch
Kati dabei, in einem Opel Astra. Immer eine nach der anderen raus.
Alle in Jeansröcken. Die als Erstes runter. Dann die T-Shirts, die
Schuhe, die Zwillingsmützen … alles auf einen Haufen. Max sind
fast die Augen ausgefallen. Zum Schluss haben sie ihre Strings unter
die Jungs geworfen. Max hat Katis erwischt. Ein Duft … Ein Duft sag
ich dir …“
„Ach, halt´s Maul! Wer
weiß, wo er den her hatte.“
Trotzdem starrte Ron auf
die leere Straße in Richtung Siedlung, als würde im nächsten
Moment ein Oldtimer mit Mädchen aus dem Dämmerlicht auftauchen.
„Kati, nee. Kannst
erzählen, was de willst. Ich glaub das nicht. Max macht nur auf
dicke Hose.“
Der Gefreite Käsich
hatte sich eine Zigarette angezündet und bot Ron Feuer an. Ron sog
gierig Rauch ein. Inzwischen hatten die beiden ihre Position
getauscht. Ron blickte nun auf das zum Abwurf-platz gehörende
Waldgebiet. Eigentlich waren die Kiefern nur schemenhaft zu erkennen.
In Rons Gesicht vollzog
sich dabei eine Wandlung. Das Entspannte wich aus seinen Zügen.
Konzentriert versuchte er etwas zu erkennen. Was stimmte da nur
nicht? Irgendetwas an dem Bild war ungewöhnlich. Wenn es nicht so
peinlich gewesen wäre, hätte er Käsich angestoßen und … damit
eben eingestanden, dass in ihm gerade eine unbestimmte Unruhe zu
Angst wurde. Was war das nur?
Ron drehte sich weg.
Krampfhaft versuchte er, sich das Bild der verführerischen Mädchen
vorzustellen. Kati, ja, die hatte er stark gefunden.
Ruckartig drehte er sich
zurück. Da war es wieder. Nein, anders. Rons Finger verkrampften
unbewusst um die MPi. Seinem Partner fiel das nun doch auf. „Eh,
Ronny, was ist denn? Spinnst du? Siehst du Gespenster?“
„So kommt mir das vor.
Ja. Aber sieh doch selbst! Guck dir die Bäume an! Fällt dir nichts
auf?“
Auch Käsich musterte nun
die sich immer deutlicher abzeichnenden Silhouetten. „Meinst du
...“
„Ich bin doch nicht
blöd! Ich hätte gewettet, die Bäume standen vorhin anders.“
Auch Käsich hielt nun
seine Waffe fester.
„Mensch, Käse, warum
kriegen wir nie die geilen Wetten ab?“
„Ronny, du meinst …?“
„Was denkst denn du?
Ich hab zwar noch kein Schwein gesehen, aber wenn da nicht der Spieß
dahintersteckt, fress ich mein Koppel, gebraten und mit Pfeffer. Sieh
nicht hin!“
Käsich war nicht recht
überzeugt. Der Witz, sich mit einer als Bäume verkleideten Kompanie
der Nachtwache zu nähern, war Oberfeldwebel Stöttritz ja als Idee
zuzutrauen. Aber wie hätte er das umsetzen sollen? Und gefährlich
war es auch noch.
Die beiden Wachsoldaten
blickten scheinbar gebannt weg in Richtung Siedlungsstraße. ...