Dienstag, 18. Oktober 2011

Gibt es außerirdisches intelligentes Leben? (ein Essay) (7)



Wir leben in einer ungewöhnlichen Zeit: Milliarden von Jahren gibt es diese Erde, Hunderte Millionen wird sie von Lebewesen bevölkert. Vor Millionen Jahren begann unmittelbar jene Entwicklung, an deren Endpunkt die Menschen stehen, die wir jetzt sind. Nach Tausendstel von Jahrmillionen zählt die Zeit, in der aus dem Naturwesen ein Wesen geworden ist, das sich selbst und die Natur regulieren kann auf der Ebene Planet Erde. Wir sind immer noch vom Eidotter der Kreatur bedeckt, aus der wir erwuchsen, und müssen doch alle uns berührenden komplexen Vorgänge beherrschen. Wir müssen sie beherrschen, weil wir auch in sie eingreifen, wenn nicht wir sie, sondern sie uns beherrschen. Wir tun es schon alltäglich. Jeder tut es – nur unterschiedlich bewusst als Einzelne. Wir haben in den letzten Zehntausendsteln einer Jahrmillion uns und diese Erde in einem Umfang verändert, wie es die Entwicklung der Materie nur an ganz wenigen Punkten zulassen kann. Wir müssen durch ein Nadelöhr der Evolution. Entweder wir kommen durch oder irgendwo im Weltraum versucht es die Materie anders. Sollten wir diesen Moment meistern, gibt es vielleicht in Millionen Jahren etwas, was dann Menschheit ist, und etwas, was dann Natur ist, und in uns bislang noch unbekannten Speichermedien wird etwas über so genannte Klassengesellschaften aufgezeichnet sein, von Sklaven, Kriegen, Kapital, von Fortschritten für Wenige, von Dingen, die sich die Menschen dann nicht mehr vorstellen können müssen. Ein paar wenige Altertumsforscher werden den Namen Marx gehört haben. Ein kleiner Teil von ihnen wird etwas mit der Theorie der ökonomischen Gesellschaftsformationen anzufangen wissen. Begreifen brauchen sie die nicht. Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus … alles irgendwie ähnlich unangenehm … aber eben notwendig, dass der junge Keim das harte Korn durchbrach. Eigentlich wäre es schön zu wissen: Da sind wir dabei gewesen. Aber … wenn wir erführen, dass die Menschheit der Jetztzeit dank ihres Kapitalismus das intelligente Leben auf der Erde auf das Niveau von Ratten zurückgeworfen haben wird, gäbe uns das die Kraft, im Wissen um den Abgrund noch einmal „die Kurve zu bekommen“ und die Erde doch zu dem Paradies zu machen, das sie eigentlich sein sollte? Das zwischen zwei Hartz IV-Antragsformalitäten so ganz nebenbei gelöst zu haben, steht als unsichtbare Aufgabe an unserer Wand ...
Einen so größenwahnsinnigen Gedanken wie den Kontakt mit „anderen Intelligenzen“ können wir uns eigentlich erst erlauben, wenn wir uns selbst als „Intelligenz“ erwiesen haben. Diese Prüfung haben wir noch nicht bestanden.

Dienstag, 5. Oktober 2010

… mit einem unnützen mädchen (1)


 Die folgende Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition. 

… mit einem unnützen mädchen

Es war der 25. November. Ich schlief. Was ich noch nicht wusste: Mein Computerwecker war bei null Uhr stehen geblieben und meine Servicenummer (fakultativ) 325 345 365 existierte nicht mehr.
Auch Tanja schlief. Sie war in der Nacht aus ihrem Bett gestiegen und die paar Schritte barfuß zu mir getapst. Ich hatte ihr wie immer etwas Beruhigendes entgegengebrummt und sie an mich gezogen. Die kühlen 15 Grad waren uns beiden nicht aufgefallen. Auch der Sauerstoffgehalt der Luft war erst wenig abgesunken.
Tanja ist das dritte in meinem Bauch gewachsene Kind. Mir war damals nur die Leihmutterschaft als Gelderwerb geblieben. Das hatte Erfolg versprechend mit der Übergabe zweier Jungen begonnen. Die vermögenden Auftraggeberfamilien waren mit mir zufrieden. Die Trockenbaums versprachen sogar, mich später unsterblich zu machen, kamen aber nachher nicht mehr wieder darauf zurück. Das nächste Baby wurde als werdendes Mädchen identifiziert. Ich sollte es abtreiben. Für so was bedurfte man keiner althergebrachten Schwangerschaft. Ich hatte mich geweigert, war deshalb für meinen Beruf untragbar, und kümmerte dahin, immer an der Grenze, vom Netz genommen, abgeschaltet, gelöscht zu werden. Wie soll man Vulgärexistenzen wie mich verwerten? Allein in den illegalen Survivalzonen fragte keiner danach. Dort überlebten angeblich einige Outsider.
Richtige, eben unsterbliche Existenz steht nur der vermögenden Elite zu. Ohne mangelhaft konstruierte Körper sehen diese Menschen sich über Neuronennetzanschlüsse durch eine nach den eigenen Wünschen ausgestaltete Landschaft laufen, schmecken sie die edelsten Speisen und genießen sie die traumhaftesten Partner – ohne jeden störenden Ärger. Ansonsten ändert sich nichts. Großrechnersysteme optimieren alle Lebensfunktionen normalerweise auch in der Vulgärexistenz, nur…
Ich hätte gern weiter geträumt, aber Tanja stößt mir ihren Ellenbogen zwischen die Rippen. Etwas stimmt nicht. Irgendetwas, was anders ist als sonst. Nur was? Grübeln ist sinnlos. Ich schlafe sowieso nicht wieder ein. Obwohl … Ich blinzele. Tanja hat sich halb aufgedeckt. Ich decke sie zu und schleiche ins Bad, komme aber nicht dazu, mir in Ruhe die Zähne zu putzen. Tanja steht plötzlich in der Tür.
Sie hält sich die linke Hand über die Augen und quäkt Warum läuft denn gar keine Musik? Das also ist es – das ewige leise Geräusch hat mir gefehlt. Ich laufe ins Wohnzimmer. Gespenstische Stille, der Monitor dunkel, das grüne Signallicht am Tower glimmt nicht. Ich drücke halb verärgert, halb verängstigt den großen schwarzen Knopf. Auf dem Bildschirm erscheinen drei überdimensionale Ausrufezeichen. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich sie anstarre, lösen sie sich pixelweise auf. An ihrer Stelle füllt ein Schriftzug den ganzen Monitor; Sie haben die vorausgegangenen automatischen Warnungen nicht ernst genommen. Tanja ist hinter mich getreten. Is was, Mama?—Nein, nein. Wie, um mich Lügen zu strafen, kommt die nächste Meldung. Sie haben seit sieben Tagen ihr genehmigtes Limit überschritten. Gleichen Sie innerhalb der nächsten 72 Stunden Ihr Konto aus! Sollten Sie diese Chance bis zum 28. November, 0.00 Uhr, missachten, wird auch Ihr restlicher Nutzercode gelöscht. Alle Schaltfunktionen verbleiben dann in der jeweiligen Ist-Stellung. Die Entsorgung Ihrer Überreste vereinbaren Sie bitte mit einer der zuständigen Firmen. Wählen Sie nach Betätigung des OK-Buttons eine aus!...