Samstag, 7. Februar 2009

Planet der Pondos - Leseprobe Anfang (1)


Sie hörte es brummen. Irgendwo im Hintergrund, gleichmäßig, leise, einschläfernd. Was ging es sie an?  Es war weit weg. Dabei sollte es bleiben. Tröpfchenweise trat an die Stelle wohliger Schläfrigkeit eine vage Furcht.
Sie öffnete die Augen, versuchte sich umzusehen. Erkannte nichts. Sah absolut nichts. Nichts als Finsternis. Eigentlich konnte sie sich nur eine Erklärung vorstellen: Sie war blind.
Sie schloss die Augen wieder. Suchte nach vernünftigen Gedanken. Was war mit ihr los? Wo befand sie sich? Warum? Wie kam sie hierher? Träumte sie? Fragen ohne Antwort. Die Erinnerung war fast so schwarz wie die Umgebung. Die letzten Stunden, Tage, Monate, vielleicht Jahre – einfach ausgelöscht.
So, mit geschlossenen Augen, sah sie sich selbst als Kind von kaum fünf Jahren. Das konnte lange, sehr lange zurück liegen. Angeblich erinnerten sich Säufer zwar nicht an Ereignisse der letzten Stunden, wohl aber an die Zeit davor. Sie erinnerte sich weder an die nahe noch an die fernere Vergangenheit. Nicht einmal an ihren Namen. War das nicht absurd? Immerhin war ihr schon eingefallen, dass sie einen Namen haben musste.
Was hatte sie erlebt in jenem gerade verschütteten Lebensabschnitt? Sie kannte wenigstens noch die Worte ihrer Sprache, wusste, was sie bedeuteten, wusste, dass so etwas vorkommt, dass jemand sein Gedächtnis verliert durch Schocks oder Unfälle.
Vorsichtig hob sie den Kopf, sah ihre Brüste als aufgerichtetes Hügelpaar. Sie war also ein Mädchen. Warum sie sich einbildete, ein fast erwachsenes Mädchen und keine Frau zu sein, wusste sie nicht. Aber das war wenigstens etwas. Sie ließ den Kopf fallen. Wunderte sich. Hatte sie nicht gerade etwas gesehen? Jetzt umgab sie totale Schwärze wie zuvor.
Das musste ein Traum sein, versuchte sie sich einzureden. Also sollte sie besser weiter schlafen und später erfrischt aufwachen. Dann erwiese sich diese Art, aus einem Traum aufzuwachen, hoffentlich selbst als Traum. Welch verlockender Gedanke! Nur sprachen ihre Empfindungen dagegen, selbst, wenn sie ihr irgendwie unvollständig vorkamen. Vergeblich kämpfte sie gegen die Vorstellung an, keine Hände zu haben, keine Beine, eigentlich überhaupt keinen Körper vom Kopf an abwärts. Empfand man so, wenn man gelähmt war? War sie etwa …
Nein, sie spürte etwas. Ja, da arbeiteten Nerven! Nicht Schmerzen. Dort, wo sie endlich ihren Körper fühlte, war ihr, als ob Amei­sen über die Haut krabbelten. Blut floss, als hätte es selbst bis jetzt geschlafen. Das war ein Grund zur Freude: Ziemlich sicher war sie nicht gelähmt. Und blind wohl auch nicht! Dann klärte sich der Rest bestimmt auch bald.
Einen Moment lag sie still. Überlegte. Müsste sie nicht noch mehr als ihren Kopf bewe­gen können? Weit unten die Beine zum Beispiel? Sie konzentrierte sich ganz fest auf die Zehen. Das Blut fußwärts fließen lassen. Ganz ruhig. So ähnlich wie bei autogenem Training, und sie stutzte, warum ihr ausgerechnet das einfiel, ihr eigener Name aber nicht. Und dieses Kribbeln nahm immer mehr zu. Sie wollte sich kratzen und konnte nicht. Wer sollte sich da konzentrieren können!
Uli! Uljana Silberbaum. Hach! Das war ihr Name. Er war einfach wieder da! Sie atmete tief durch, freute sich und vergaß darüber fast ihren eigensinnigen Körper.
Dafür kam eine andere Frage zurück. Wo lag sie eigentlich? Die Haut ihres Rückens verriet, es war kein Bett.
Uljana hob eine Hand, drückte den Zeigefinger auf die Nasenspitze, landete fast auf der Oberlippe. Immerhin. Sie hatte Arm, Hand und Finger fast genauso bewegt, wie sie es vorgehabt hatte, wenn auch mit Mühe. Nur die Haut kam ihr irgendwie taub vor oder … zumindest nicht normal.
Nun den ganzen Oberkörper hoch. Gut gesagt. Erst nach drei Versuchen gelang es. Uljana stieß dabei gegen einen Deckel über sich, der ihr bisher nicht aufgefallen war. Glücklicherweise war er nicht schwer und ließ sich mühelos hochklappen. Beruhigt, fast schon vergnügt, stellte Uljana fest, dass sie dazu den Arm, der eben noch so schwer gewesen war, bereits ohne große Probleme gestreckt hatte.
Noch immer war es ziemlich dunkel. Andererseits hell genug, dass Uljana Wände ringsum erkannte. Und viele Einzelheiten der sie umgebenden Halle. Als dimmte jemand eine versteckte Lampe hoch, sobald sie sich aufrichtete. Doch, ja, es war genau in dem Moment heller geworden, in dem sie den Deckel hochgestoßen hatte, um sich aufzusetzen. Löste sie den Effekt demnach selbst aus? Nur vorsichtig! Mit dem Blind- und dem Gelähmtsein hatte sie schon zwei voreilige Schlüsse gezogen. Das reichte.
Uljana sah sich unsicher um. Sie lag am Ende des Raums, an einer Tür. Die Halle war lang gestreckt und kam ihr fremd vor. Sie wurde durch einen schmalen Gang in der Mitte in zwei gleiche Hälften geteilt. Auf beiden Seiten ragten Behälter von etwa zwei Metern Länge und einem Meter Breite aus der Wand. Alle von derselben Art wie ihrer. Uljana schätzte auf jeder Seite mehr als hundert. Erschauerte. Särge! Wenn die Behälter überhaupt etwas ähnlich sahen, dann Särgen. Zumindest war die Ähnlichkeit verblüffend. Solche Szenen gehörten in Horrorfilme. Oder Albträume! Uljana ballte ihre Finger zu Fäusten. Aufwachen! Warum wachte sie nicht endlich auf?!

Freitag, 6. Februar 2009

Planet der Pondos - Leseprobe Anfang (2)


Sie ließ sich wieder zurück fallen. Dabei merkte sie, dass der Untergrund an ihre Körperform angepasst war. Eine Art Schale. Kein Sarg. Wenn sie nur wüsste, wie sie in diese Halle gekommen war!
Also noch einmal aufrichten! Uljana durchfuhr ein stechender Schmerz. Ihr Kopf war über Kabel mit einem Schaltkasten verbunden, an dem Kurven und Zahlen blinkten. Auch die linke Armbeuge und der Bauchnabel hingen auf diese Weise an dem Kasten. An einem der Kabel hatte sie beim Aufrichten gezogen. Uljana nahm sich vor, sich nicht mehr dieser lähmenden Angst hinzugeben und sich nicht mehr ruckartig zu bewegen.
Sie versuchte mehr zu erkennen. Entdeckte nur die drei Leitungen. Also hing sie nicht an einem Tropf. Meldete sich gerade wieder eine Erinnerung aus frühen Kinderzeiten? Wahrscheinlich. Ein Arzt sagte zu jemandem, den sie nicht sehen konnte, „Der Fuß ist wohl nicht zu retten, aber wir wollen alles versuchen …“ Nein, an der Stelle hörte der Film auf. Seltsam. Uljana sah sich durch die Luft fliegen, sah eine blendend helle Lampe über sich, spürte das Jucken überall, wo sie sich nicht kratzen konnte. Es half nichts. Wieder Dunkelheit.
Uljana musterte die Anzeigen auf dem Kasten. War sie krank? Manches war eindeutig beschriftet. Mit einigen Werten konnte sie sogar etwas anfangen. Der Herzschlag zum Beispiel war in Ordnung. Temperatur, Atemfrequenz. Selbst der Hämoglobinwert.
Dieses eintönige leise Summen… Uljana war sich sicher, dieses Geräusch früher noch nie gehört zu haben. Was war das? Sie lehnte sich wieder zurück, fühlte sich müde. Grübelte. Kalt war es nicht in dem Saal. Trotzdem. Warum lag sie nackt in einer Schale mit Deckel?
Sie schloss die Augen. Bilder, denen die Farbe fehlte. Langsame Bewegungen, dann wieder ein Ruck zum nächsten Bild. Ein Mann lächelte sie an. Sie streckte sich auf einer Liege aus. Freiwillig. Nackt. Aber warum?
Uljana zitterte. Jetzt! Das waren sie, die richtigen Bilder. In denen lag der Schlüssel ….
Eine Schwester strich ihr über die Stirn, richtete eine Spritze auf die Armbeuge … dann sah Uljana nichts mehr. Oder noch ganz kurz hinter der Schwester ihre Debbie.
Mum? Uljana sah sie deutlich vor sich. Debbie, ihre Mutter. Aber gleich in zwei Gestalten: Als ganz junge, wunderschöne Frau mit vollen, lockigen Haaren und als eine nicht mehr ganz so junge, immer noch attraktive. Wahrscheinlich während der Operationsvorbereitung in der Kinderzeit und bei dem Ereignis, an das sie sich unbedingt erinnern musste.
Uljana hörte das Blut im Ohr pulsieren. Wie bekäme sie endlich Ordnung in ihren verwirrten Schädel? Und woher kam der Gedanke, ihre Mutter läge gleich im nächsten Sarg? Sie brauchte nur aufzustehen und sich zu überzeugen? Es gab einen Grund für diese Sicherheit. Nur welchen?
Uljana wendete sich wieder dem Kasten mit seinen vielen Anzeigen zu. Schalter, Hebel, Druckknöpfe, …da stimmte doch etwas nicht. Es passte nicht zu den Erinnerungen. Also zu denen, die ganz dicht waren wie ein Wort, das man kennt und das einem genau in dem Moment, wenn man es aussprechen will, nicht einfallen will.
Die Akustiksteuerung! Das war es. Wieso war hier keine Akustiksteuerung installiert? Nahezu alles konnte man früher ansprechen und damit das jeweils gewünschte Programm aktivieren. Warum jetzt nicht? Oder doch? Also ausprobieren. Was wollte sie? Erst einmal „Kontakt lösen!“ Uljana sagte es laut, klar und deutlich.
Nichts geschah. Vielleicht mit einem anderen Kommando? Oder musste sie anstatt dessen unbedingt auf einen der Knöpfe drücken? Bloß auf welchen? Auf den grünen, über dem das Kabel zum Kopf endete? Schließlich streckte sie zaghaft eine Hand in Richtung Kasten aus und drückte auf den grünen Button. Das Gerät brummte auf. Ganz kurz schreckte Uljana zusammen. Warf sich auf die Unterlage. Noch während dieser Bewegung sprang das Kabel von ihrem Kopf ab. Dafür schoben sich zwei mechanische Hände aus den Seitenfronten ihres Behälters. Sie begannen ihre Haut zu massieren. Uljana schloss die Augen. War das angenehm! Sie hätte sich dehnen und strecken wollen. Die Massage vertrieb sowohl das Kribbeln als auch die unerklärliche Taubheit der Haut. Weiche Finger brachten endlich die Durchblutung in Ordnung. Zum ersten Mal, seit Uljana erwacht war, ohne zu wissen wo, fühlte sie sich wohl. Das könnte ewig so gehen, dachte sie noch. Dann verschwand alles um sie herum.
Irgendwann ertönte ein schmatzendes Geräusch und die beiden Strippen mit den Massagefingern wurden wie von unsichtbarer Hand in die Seitenverkleidung des Behälters zurückgezogen.
Die angenehmen Schauer wirkten nach. Erst allmählich fand Uljana wieder in ihren Behälter zurück. Sie fühlte sich wohlig schlaff. Jetzt einen Moment ruhen, dachte sie, und dann wäre alles wieder in Ordnung. Erneut war sie eingeschlafen.