Mittwoch, 19. Oktober 2011

Gibt es außerirdisches intelligentes Leben? (ein Essay) (3)




Wir müssen immer wieder versuchen, alles von unserer Ebene aus zu betrachten. Nehmen wir den Übergang vom Einzeller zum Zweizeller nur um ein Prozent früher oder später an – etwas, was wir gar nicht genau bestimmen können – und und verändern die folgenden Entwicklungszeiten nicht, dann wären entweder noch Saurier auf der Erde oder etwas, worüber heute nur SF-Autoren spinnen können.
Wir wissen (etwa), welcher Art Leben es heute auf der Erde gibt, und glauben die meisten Lebensformen zu kennen, die es gegeben hat. Bei vielen haben wir einleuchtende Theorien, warum untergegangene untergegangen sind. Grundformel: Sie waren nicht ausreichend an sich verändernde Umweltbedingungen angepasst. Ihr Untergang war insofern „gesetzmäßig“. (...wie ihre Entstehung?)
So ausgedrückt ist das mindestens ungenau, wenn nicht sogar falsch. Jedes System von Lebensformen ist dynamisch. Alle Elemente solch eines Systems haben eine unterschiedlich lange Anpassungszeit an veränderte Umweltbedingungen. Jede Umweltveränderung trifft die einzelnen Wesen unterschiedlich hart. Ja, die „Strategie“ der Natur besitzt sogar zwei entgegengesetzte Trends: Je primitiver ein Lebewesen konstruiert ist, umso weniger ist es an konkrete Einzelbedingungen angepasst und umso leichter fällt es ihm deshalb (!), veränderten Bedingungen wieder vollständig zu entsprechen. Auf der anderen Seite steht eine permanent wachsende Vielzahl miteinander in Wechselwirkung stehender, sich von einander unterscheidender Wesen. Für die gilt, dass sie umso lebensfähiger sind, umso genauer sie in ihre Nische des Lebenskreislaufs passen. Damit aber wächst die Schwierigkeit, beim Verschwinden dieser Nische eine neue zu finden. Aus dieser scheinbaren Sackgassenproduktion erwächst eine völlig neue, dritte Strategie: das abstrahierende Denken. Die Anpassungsgeschwindigkeit wächst dabei expotential. Es wird also zuerst erkannt, dass außer roten auch violette Früchte essbar sind, nicht nur Frucht, sondern auch Fleisch … bis hin zur chemotechnischen Synthese der Nahrungsbestandteile.
Aber die Anpassungsgeschwindigkeit bleibt ein Problem. Wer spricht heute über die ersten Ansätze anderer Kulturen, wo die Verschlechterung der Lebensbedingungen einen Teil der frühen Menschen vor sich her trieb, sie in der Kollision mit den vorher sesshaften aber zerrieben wurden? Erst als am Nil aus einer solchen Grundsituation ein tatsächlicher Produktivitätssprung, die dauerhafte Scheidung geistiger und körperlicher Arbeit hin zu Klassen mit Macht und Besitz von solchen ohne erfolgt ist, gab es „Fortschritt“. Die meisten anderen Situationen führten eben zu stillen Untergängen. Und eben solche „stillen Untergänge“ sind auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen.
Die Natur findet für jedes Problem eine Lösung. Die Frage ist nur, in welcher Zeit, und ob diese Lösung den konkreten Wesen noch nutzt … oder ob inzwischen die Saurier eben ausgestorben sind. Und Veränderungen der äußeren Bedingungen – die für Entwicklungssprünge praktisch immer Verschlechterungen der Lebensumstände bedeuten – führen immer zu neuen Gleichgewichten. Wesen, die bisher ein Schattendasein fristeten, erweisen sich unter Umständen nun passender.
Die Zahl der Ereignisse, bei denen Genosse Zufall das Kommando führte, wann sie auf der Erde so eingetreten sind, wie sie eingetreten sind, ist groß. Nur dass eine Entwicklung vom „Niederen“ zum „Höheren“ erfolgt ist, ist eine Grundaussage, die für alle sich selbst organisierende Materie an allen Orten des Weltalls zutrifft.

Gibt es außerirdisches intelligentes Leben? (ein Essay) (4)



Das bedeutet für außerirdische Intelligenz vielerlei:
Menschenähnliche auf einem etwa mit unserem vergleichbaren Niveau sind so gut wie auszuschließen.
Formen von Intelligenz, die als Gemeinschaft die Bindung an ihr Herkunftssystem ganz lösen, also nach dem Untergang ihres eigenen Sonnensystems anderswohin weitergezogen sind, würden wahrscheinlich Eigenschaften entwickeln, durch die wir sie nicht verstehen, wahrscheinlich nicht einmal bemerken würden. Aus Vereinfachungsgründen fasse ich sie hier als Wesen auf einem in weitesten Sinne höheren „kulturellen Niveau“ zusammen.
Wenn unser Sternensystem etwa ein Drittel seiner Gesamtexistenzzeit brauchte, bevor sich höhere Lebensformen herausgebildet hatten, spricht außer der geringen Möglichkeit der Expansion im All nichts dagegen, dass auch andere Systeme entsprechend lange in relativer Konstanz brauchen, dass von 10000 Lebenswelten 3-4000 also nur Vor- oder Frühformen von Leben aufweisen. Das schließt ein, dass diese andere Energiegewinnungsmechanismen (z. B. Gärung), bei denen freier Sauerstoff nicht erforderlich und nicht vorhanden ist, verwenden. Es ist fraglich, ob „Hochkulturen“ solche Systeme „kolonisieren“.
Wenn wir von irdischen Erfahrungen ausgingen, dann gäbe es in etwa 1000 der 10000 Fälle etwas, was wir als „Natur“ erkennen könnten. Das heißt nicht, dass wir dort leben können, sondern dass es dort Lebewesen gibt, die sich an die chemische Struktur der vorhandenen Atmosphäre angepasst haben - und zwar solche, die wir mit bloßem Auge als Lebewesen erkennen könnten.
Der größere Teil dieser Lebewesen wäre nach unserem Verständnis „Tier“oder „Pflanze“ zu nennen oder etwas, was Merkmale von beiden aufweist. Die Wahrscheinlichkeit, dass Lebewesen mit sich entwickelnder Intelligenz Wirbeltiere sind, ist hoch. Theoretisch vorstellbar ist auch eine „Schwarmintelligenz“, bei der die Einzelwesen wie Organe eines Gesamtorganismus oder gar nur Organteile funktionieren, und diese vielen Einzelwesen ein besonderes Kommunikationsnetz aufbauen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber relativ hoch, dass dieses Netz relativ früh als Anpassung an die Umwelt ausreicht. Damit entfiele der Anpassungs- und Auslesedruck. Anders ausgedrückt: Die relativ hohe Zahl von „Insekten“, die das bewältigen könnten, was beim Menschen das Gehirn bewältigt, wäre in der Natur eine Verschwendung.
Wegen der extrem hohen Menge von widersprüchlichen Informationen, die zu verarbeiten sein müssten, um überhaupt „Erfahrung“ und „Intelligenz“ sinnvoll zu machen, sind zumindest in uns bekannten Formen Pflanzen als Intelligenzträger auszuschließen. Es ist zwar schwer zu sagen, wie groß der Umfang an Informationen widersprüchlicher Art sein muss, aber dass er sehr groß ist, erscheint eindeutig. In einer Wüste kann also kein intelligentes Leben entstehen. Wahrscheinlich wählt die Evolution eine so komplizierte Variante auch erst, wenn alle Extreme „ausgereizt“ sind, wenn also der Aufwand, noch schneller, geschickter und für einzelne Reize aufnahmefähiger zu sein als die bisherigen Lebensformen, nicht mehr vertretbar ist.