Donnerstag, 21. November 2013

SF-Story 5 in "Der lebende See": Der lebende See (Anfang der Titelgeschichte)

Erinnerung? Nein. Eine Katastrophe? Ja. Blitze ... Bilder ohne Davor und Danach. Fürs Logbuch nicht verwendbar. Zu viele Lücken. Ich kann sie nicht füllen.
Sollten irgendwann Menschen nach Spuren unseres Untergangs auf diesem Planeten suchen, dann finden sie hoffentlich die Trümmer des Raumschiffs. Wenn sie die untersuchen, werden sie hoffentlich rekonstruieren können, was passiert ist. Zum technischen Versagen hätte ich sowieso fast nichts schreiben können … selbst wenn ich das Logbuch noch fände. Wahrscheinlich traf mich bereits beim Eintritt in die Atmosphäre ein Stoß, der mir das Bewusstsein nahm. Vielleicht hat mir genau das das Leben gerettet. Jedenfalls weiß ich nicht, was die anderen unternommen haben, bin aber sicher, dass sie nicht mehr am Leben sind. Mindestens einer von ihnen hat mich offenbar gerettet. Bei den ersten Bildern in meiner Erinnerung renne ich wie ein Wahnsinniger. Mein Raumanzug steht in Flammen und die Hitze dringt durch und im Laufen versuche ich, ihn auszuziehen, das Feuer abzustreifen. Wie ich auf die Idee kam, hinter mir gäbe es gleich eine Explosion und ich würde nur überleben, wenn ich dann weit genug weg wäre, weiß ich nicht. Auf keinem dieser Erinnerungs-bilder trägt oder stützt mich jemand, aber allein kann ich eigentlich nicht aus dem Raumschiff herausgekommen sein. Ich habe ja gerade erst entdeckt, dass das Raumschiff nicht im Orbit geblieben, also keine Landekapsel eingesetzt worden ist. Alle heimlichen Hoff-nungen auf schnelle Rettung vom Schiff im Orbit waren also von Anfang an unbegründet. Ich bin doch nur ein Mensch mit Hoffnung bis zum Schluss, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass man noch nach uns sucht und wenigstens andere Erkunder so rechtzeitig auf diesen Planeten stoßen, dass diese Aufzeichnungen noch gelesen werden können. Ich weiß ja nicht einmal, ob meine Sprache wirklich aufgezeichnet wird, weil die Wiedergabe nicht funktioniert. Der kleine Monitor zeigt Kurven, als sei alles in Ordnung. Sonst ist fast alles zertrümmert. Die Wunderwerke menschlicher Technik sind Schrott, vor allem Elektronikschrott. Vielleicht finden mich gleich die Schla. Und vielleicht vernichten sie dann alle meine Spuren, weil sie die künftige Harmonie ihrer Gemeinschaft stören könnten. Das wär's dann gewesen.
Dabei …
Wäre es nicht so unwahrscheinlich … Also ich bin über eine Wiese gerannt. Hinter mir eine Explosion. Wahnsinnige Schmerzen, als ob ich bis auf die Knochen glühen würde. Im ununterbrochenen Rennen, Stolpern, Hinfallen, wieder Aufstehen, Rennen muss ich mir den Schutzanzug heruntergerissen haben und die Unterkleidung gleich mit. Es fühlte sich an, als schälte ich mir die eigene Haut ab. Vielleicht bin ich auch danach noch weitergelaufen. Aber vor schreiendem Schmerz verlor ich wieder das Bewusstsein.
Dann war da die Vorstellung, ich sei ein Fisch mit glühenden Schuppen, versunken in Schmerz. Riesige Facettenaugen, die mich anstarrten, mich nach etwas zu fragen schienen, wovor mich die immer wieder schnell einsetzende Bewusstlosigkeit schützte.
Irgendwann hatte ich endlich das Gefühl, ich wachte aus diesen Albträumen auf. Ich merkte, ich lag weich und hatte wirklich geschlafen und nun war es Zeit, richtig aufzuwachen.
Angst. Nur nicht die Augen öffnen. Warum nur war ich so sicher, ich wäre erblindet? Diese Blitze, die Hitze, das war so furchtbar echt. Und etwas stimmte mit meiner Haut nicht. Sie juckte etwas und … sie musste verbrannt sein! Noch immer mit fest geschlossenen Augen begann ich Finger zu bewegen, die Füße, die Arme, die Knie anzuwinkeln. Hatte ich vielleicht alles nur geträumt? Keine der Bewegungen bereitete mir Schmerzen. Es war nur komisch an der Haut. Als wäre ich in ein Nachthemd aus Seilen eingewickelt.
In diesem Moment drangen Lichtstrahlen durch die geschlossenen Lider. Ganz kurz nur. Danach hatte ich den Eindruck, es wäre jemand neben mir. Genauer, es schienen zwei Jemande zu sein. Warum schwiegen sie mich an? Ich würde den Augenblick nicht endlos dehnen können und die Augen öffnen müssen.
Tat es und schloss sie sofort wieder. Mich begafften keine Menschen. Das waren … Menschenähnliche? Sagt man so? Ich sah zwei Köpfe vor mir, also eigentlich die Gesichter. Wenn ich mich nicht täuschte, dann standen zwei Wesen neben mir im Raum, beide insgesamt deutlich kleiner und zierlicher als Menschen. Ihre Köpfe aber …
Ich blinzelte, hoffentlich unauffällig. Das Gesicht unmittelbar vor mir konnte sogar das eines Mädchens sein. Zumindest hatten die Züge etwas Weiches. Es war im Prinzip alles da, was auch in einem Menschengesicht zu finden gewesen wäre. Nur war alles etwas zu groß geraten und wurde beherrscht von eben jenen Facettenaugen, die mir im Albtraum begegnet waren. Dagegen wären Froschaugen als schön durchgegangen. Wie kam ich eigentlich auf Facetten? Sicher war nur, dass sie nichts Menschlich-Schönes an sich hatten.
Dann kam der nächste Schock. Jenes Wesen, das ich für ein Mädchen hielt, gab Geräusche von sich. Es klang wie ein an- und abschwellendes Summen. Ich glaubte, lauter Ens und Ems aneinandergefügt zu hören. Das weiter hinten sitzende Wesen summte dem Mädchen etwas zu, woraufhin es noch betonter modulierte. Und endlich begriff ich: Das Mädchen hatte gesprochen und sprach schon wieder! In einer Sprache, die ich verstand! Nur mit einem extrem fremden Klang. „Ich bin Wroohn. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Wir Schla meinen es gut mit dir. Der See gab dir dein Leben wieder.“
Als sie noch einmal mit diesen Sätzen von vorn begann, murmelte ich: „Ich verstehe dich. Ich bin Jonathan, John, ein Mensch. Danke!“ Aber ich begriff nicht, wieso ich einfach so eine fremde Sprache beherrschte. Dass es nicht meine auf der Erde gelernte, sondern die hiesige war, war mir bewusst. Es war beängstigend. Woher kannte ich die?
So wurde ich aufgenommen in die Gemeinde der Schla, wurde einer der ihren.

Das Schwerste war die Gewöhnung an ihre allgegenwärtige Hässlichkeit. ...

Montag, 18. November 2013

SF-Story 4 in "Der lebende See": Im Heute das Morgen (Anfang)

Als sie in den Hörsaal gedrängt wurde, kam ihr, zum wievielten Mal schon, der Gedanke, sie sollte ihre Haare färben. Es war doch die natürlichste Sache der Welt. Ihre rötlichen Haare hoben sie aus der Masse heraus. Und genau das wollte sie nicht. Janara musste aufpassen, um nicht abgedrängt zu werden. Nein. Myra hielt zwei Plätze frei. Ganz oben. Für Peggy und sie. Mit Myra war jede Veranstaltung ein Erlebnis. Die fand immer etwas dazwischenzureden. Das lenkte ab. Aber die Semesterarbeit musste wenigstens ein „befriedigend“ bringen. Dann bekam sie die Anwesenheit für das Fach „Psychologische Probleme extra-terrestrischer Lebensentwicklung“ bescheinigt. Mehr wollte Janara eigentlich nicht. Um im kommenden Jahr an einem College studieren zu können, brauchte sie neben dem Notendurchschnitt, der kein Problem für sie war, den Beweis für ein thematisch breit entwickeltes Interesse. Möglichst viele Nebenfächer. Je mehr, desto besser. Extraterrestrische Lebensentwicklung interessierte sie nicht wirklich. Aber viele der Mitschüler fanden es schick. Da hatte sie die größte Chance, nachher noch ein paar Gedankengänge mit anderen zu vergleichen. Und diese Lesung war auf jeden Fall etwas Außer-gewöhnliches – nicht nur Myras Kommentare wegen. Da ließ sich ein Dozent der Akademie zweimal im Jahr für die Schüler ihrer unbedeutenden Kleinstadt dazu herab, vier Stunden Vortrag zu halten. Weil er hier geboren und tatsächlich schon im All gewesen war. Na, vielleicht hoffte er, so schneller einen eigenen Lehrstuhl zu bekommen.
Von ihren Plätzen hatten die Mädchen eine gute Übersicht. Janara versuchte, dieses unsinnige Gefühl wegzudrücken, gleich ginge eine Prüfung los. So also sah ein echter “altehrwürdiger” Hörsaal aus. Kein Computerkabinett mit Simultanarbeitsplätzen, sondern ein riesiger Raum mit Bänken, die aufsteigend angeordnet waren. Von den schätzungsweise 400 Sitzen waren inzwischen etwa 300 belegt und noch immer spuckten die beiden Doppeltüren schubsende Schüler in den Saal. Eigentlich war das eine ideale Gelegenheit. Wann konnte man sonst schon die Jungen beobachten, ohne dass die sich wie alberne Gockel benahmen ... HAST DU ABER SCHÖNE BLAUE AUGEN! Janara hätte es für ein gelungenes Kompliment gehalten, sich zumindest darüber gefreut, wenn es nicht so verdammt abgeschmackt und abgenutzt geklungen hätte. Diese Augen waren neben jenen rötlichen Haaren das auffälligste Erbstück von ihrer Mutter und die war auch jetzt noch eine aufregende Frau. Was andere Mädchen mit extra eingesetzten Haftschalen zu imitieren versuchten, war bei Janara Natur: Ihre Iris gab im Normal-fall einen ungewöhnlich breiten Kreis hellblau leuchtenden Himmels preis. Aber wahrscheinlich hielten es eben alle für künstlich. Es war so “in”, dass Janara schon an grüne Haftschalen gedacht hatte. Die passten auch zu ihren Haaren.
Noch drei Minuten. Jener legendäre George Buckinns stand schon vorn neben dem Pult. Offensichtlich nervös spielte er am Beamer herum. Wunderbar: Der würde also Zusammenfassung und Struktur des Vortrags an die Wand werfen. Janara brauchte nur Fotos zu machen und sich ein paar spezielle Ausdrücke des Dozenten zu notieren.
Eigentlich war der Typ … Janara hätte nicht sagen können, was sie von dem Mann halten sollte. Irgendwie … Fast glaubte sie, schon einmal von ihm geträumt zu haben, und eine entsprechende Bemerkung lag ihr bereits auf den Lippen, aber in Gedanken hörte sie Myras abfällige Antwort “Der und Traummann? Nun übertreib mal nicht!” Janara schüttelte unmerklich den Kopf. Sie wusste, sie hätte geantwortet, antworten müssen, dass sie es ja nicht so meine. Aber wie dann? Besser, sie ließ sich nichts anmerken.
Für einen, der schon eine Interstellarreise und erste Jahre an der Raumakademie hinter sich hatte, sah er extrem jung aus. Anfang 40 vielleicht. Jünger als Dad. Das war wahrscheinlich den Kälteschlafphasen geschuldet, die er durchlaufen hatte. Er hatte seinen Flug zu einer Zeit angetreten, als die Astronauten zum ersten Mal ihre Schlafsärge im Wechsel selbst einstellen durften. Sieben Frauen, sieben Männer. Keine Paare am Anfang. Ob sie sich fanden, ergab sich erst in der Gemeinschaft des Fluges. Zufälle. Denn sie hatten sich geeinigt, dass immer nur zwei bis drei Besatzungs-mitglieder den irdischen Wechsel von Tag und Nacht simulierten, den Flug überwachten. Es konnte also Jahre dauern, bis die eine den oder die anderen fand, die besonders mit ihr harmonierten. Dass das Team theoretisch gut harmonieren würde, hatten Tests an dafür entworfenen Geräten ihnen bescheinigt. Man hatte sie auf eine Reise von etwa 20 Jahren im Wachzustand und einen allgemeinen 100jährigen „Dornröschenschlaf“ eingestimmt. Da gehörte es zum Programm, sich gegenseitig zu testen, zu harmonisieren oder zu verwerfen. Es konnte ja sein, dass sonst absolut nichts als Routinen abgearbeitet werden konnten, die auch Automaten hätten bewältigen können. Ihr Hauptziel war es, das Programm zur automatischen Erkennung von Lebensformen zu testen. Was nutzten denn Sonden, deren Untersuchungsprogramme unter Umständen einen Mangel enthielten, so dass sie entweder lauter Zivilisationen meldeten oder an Planeten vorbeiflogen, die vielleicht eine zweite Erde waren oder werden konnten? Sicher konnte man nur sein, wenn man die Untersuchungsergebnisse vor Ort verglich. Aber die Entfernung von einem Untersuchungsobjekt bis zum nächsten sei eben astro-nomisch ...
Eigentlich erzählte er ganz interessant. Er schien auch nicht so ein ichbezogener Schnösel zu sein. Seine Vorstellung hatte er auf den Namen beschränkt und sich Spielereien um sein Alter verkniffen. Wenn man seine Kälteschlafzeiten und die durchschnittliche Fluggeschwindigkeit bei interstellaren Flügen mitrechnete, dann war er wohl ein echtes lebendes Fossil.

Interessant, ja, auch, aber … Janara hätte nicht sagen können, warum sie trotz allem nur mit halbem Ohr auf das achtete, was der Mann vorn sprach. Irgendetwas schien um sie herum zu knistern und sie darauf einzustellen, dass das Wesentliche des Tages noch kommen würde ...